Mit Distel und Kuh auf du und du
Le Fattorie Fiandino Villafalletto Piemont
Prächtig gefärbte, tiefrosa Blütenköpfe zieren die Wiesen und Weidegründe entlang der kleinen Straßen rund um das piemontesische Dorf Villafalletto in der Provinz Cuneo, nahe der französischen Grenze. Das ist sie also — die wilde Distel, die so viele Etiketten von „Le Fattorie Fiandino“ ziert und zugleich Grundstein der jüngsten Erfolgsgeschichte des Familienbetriebes ist.
Es ist Frühsommer, aber die Temperaturen sind dennoch angenehm kühl, als wir aussteigen. Dabei sind wir nur knapp 450 Meter über dem Meer. Villafaletto wird auf zwei Seiten von den Alpen und auf der Ostseite von den Hügeln der Langhe geschützt, während im Norden eine Art Windbarriere, die vom Susa-Tal herabkommt, es vor kalten und feuchten Strömungen aus dem Norden schützt. „Die natürlichen physischen und klimatischen Eigenschaften hier bieten die optimalen Bedingungen für die Produktion von Milch hervorragender Qualität und die perfekte Reifung von Käse“, weiß Egidio Fiandino, der ältere der beiden Cousins, als er uns herzlich in Empfang nimmt. Und kein Zufall, dass sich Firmengründer und Großvater Magno Fiandino 1920 diese Gegend für seine Zucht ausgesucht hat.
„Vegetarischen“ Käse? Den findet man selbst in gut sortierten Käsetheken vergleichsweise selten — denn die Milchgerinnung durch pflanzliche Enzyme erfordert nicht nur fundierte Fachkenntnisse und jahrelange Forschungsarbeit, sondern liefert auch eine geringere Ausbeute. Eine Tatsache, von der sich die „Cugini Fiandino“, namentlich Egidio und Mario, nicht haben aufhalten lassen. 2010 präsentieren Sie eine Weltneuheit — ihren „Gran Kinara“, den ersten gereiften Hartkäse aus Kuhrohmilch, der ausschließlich mit Distellab gekäst wird.
Gemolken wird in Villafalletto in der Regel um fünf Uhr morgens und abends unter der Aufsicht von Daljit Singh, spiritueller Führer der Sikh-Gemeinschaft von Marene und seit einem Jahrzehnt unentbehrliches Mitglied der Käserei. Die Qualität der Milch der Bruna Alpina Rinder gilt als ausgezeichnet. „Zum einen weist sie einen sehr hohen Milcheiweißgehalt (3,5 bis 4,5 Prozent) auf, zum anderen gerinnt sie dank ihres hohen Kappa-Kaseinanteils mit wenigen A-Allelen sehr schnell“, erklärt Egidio uns. Bevor er seine Lektion in Bio-Chemie jedoch fortsetzen kann, erreichen wir schon die eigentlichen Produktionsstätten: eine für Käse und eine für Butter. Beide grenzen direkt an Stall und Weidegrund an — kurze Wege, auf die die beiden Cousins zurecht stolz sind, die für sie aber selbstverständlich sind. „Nur so erhalten wir die Qualität, die wir uns zum Ziel gesetzt haben“, sagt Mario und zeigt über das Gelände.
Qualität und Tierwohl stehen bei den Cousins auch in dritter Generation an höchster Stelle: Rund 300 Rinder der alten Bruna Alpina Rasse umfasst ihre Herde derzeit. Die Tiere leben in einem offenen Freilandstall, Leuchtröhren und einen dunklen Korridor sucht man hier vergebens. Dafür duftet es nach frischem Gras und Heu, das den Tieren von dem eigenen, 30 Hektar großen Weidegrund zugefüttert wird. Als wir den Stall betreten, erklingt klassische Musik. „Wir haben hier eine eigene Playlist“, strahlt Mario. „Manchmal spielen wir auch New Age, auf genau 432 Hertz. Laut einer Studie der Universität von Madison in Wisconsin hilft den Kühen das, sich zu entspannen.“ Die Begeisterung der beiden für Innovation und modernste Technik bestätigt sich, als wir weitergehen: in Form kleiner Bluetooth-Chips, die eingelassen in die lockereren Halsbänder der Tiere ausführliche Informationen zu deren Fress- und Lebensgewohnheiten liefern und über ein spezielles Software-System regelmäßig ausgewertet werden.
Mit großem Erfolg — aber auch einigen Hürden und zahlreichen Investitionen. Denn die richtige Dosierung des Distellabs ist eine wahre Kunst und das Ergebnis jahrelanger, intensiver Forschungsarbeit. Diese haben sich Egidio und Mario zwischenzeitlich schützen lassen: Die „metodo kinara“ ist ein eingetragenes Markenzeichen und steht für die Herstellung von Käse mit echtem pflanzlichem Enzym, das mit Hilfe von Wasser aus den Blütenstempeln der wilden Distel gewonnen wird. Das köstliche Ergebnis: ein Käse besserer Verdaulichkeit, mit blumigen Noten und einem kompakten Teig, der am Gaumen zart schmilzt.
Heute besichtigen wir die Herstellung des „Gran Kinara“, dem Vorzeige-Käse des Betriebs. Auf dem Weg dorthin fragen wir die beiden, wie sie eigentlich auf die Idee kamen, Käse mit Distellab herzustellen. „Die Idee hatten ja nicht wir“, schmunzelt Mario. „Die Herstellung von Käse unter Zugabe pflanzlicher Enzyme war bereits den Griechen bekannt und wird auch heute noch in Spanien und Portugal auf Schaf- und Ziegenkäse angewendet. Aber eben nicht auf Käse aus Kuhmilch.“ Diese Idee hatte allerdings auch schon Nonno Magno — wenn auch mehr aus der Not heraus geboren, da Lab aus Kälbermägen zu dessen Lebzeiten schlichtweg rar war. „Er hat seine Experimente sogar dokumentiert“, wirft Egidio ein. „Und wir haben dann einfach weitergemacht.“
Anschließend kommt er in die typischen „Gran Pandano“-Formen und wird zwei Wochen lang in sizilianischer Salzlake gebadet. Auf diese Weise natürlich gesalzen reifen die Hartkäse mindestens 14 Monate, meist aber länger, in speziellen Kammern auf aromatischem Fichtenholz.
Das Hochregallager ist gleichzeitig so etwas wie die Schatztruhe der Familie. Akkurat in Reih und Glied liegen hier sage und schreibe 40.000 Laibe — ein Schatz, der gut bewacht werden möchte!
In der Produktion angekommen, fallen unsere Blicke als erstes auf die großen, blitzblanken Kupferkessel. Hier wird die zuvor im Labor kontrollierte Rohmilch des „Gran Kinara“ verarbeitet. Ihr Fassungsvolumen beträgt rund 900 Liter — aus denen am Ende zwei der goldgelben Laibe entstehen. Nach dem Dicklegen der Milch durch das Distellab wird die Dickete mit der Käseharfe von erfahrenen Händen klein geschnitten und der Käsebruch bei Temperaturen von bis zu 50° C gebrannt.