Mit dem Alter kommt die Reife
La Casearia carpenedo Povegliano Venetien
Die kleine Grotte mit roh behauenen Wänden aus Natursteinen befindet sich im Keller der Käserei La Casearia Carpenedo in Povegliano, in der Nähe von Treviso, in Venetien. Signor Antonio Carpenedo, Alessandros Vater und Valentinas Großvater, wirft einen Blick in das Barriquefass und lächelt zufrieden. „Cose fatte bene“, sagt der kleine Herr mit Brille, dem man seine achtzig Jahre nicht ansieht. „Sachen, die gut gemacht sind“ findet er im Fass vor. Und damit meint er natürlich seinen Käse, der zwischen Trester und Heu, schwarz-gelb-grün glänzend hervorragt.
Es ist ein bisschen wie an Weihnachten, wenn man vor der geschlossenen Tür auf die Bescherung wartet. Die Spannung steigt, als Alessandro und Valentina das Brecheisen an das Barriquefass setzen. Ein kräftiger Ruck, der Deckel springt auf und innerhalb weniger Sekunden riecht es in der kleinen Steingrotte nach Heu und Gräsern, Trester, Ammoniak — und natürlich nach Käse.
Im Keller der Käserei findet die Affinage nicht nur in zwei steinernen Grotten statt, sondern auch in vier schmalen Höhlen, in welchen die Käse auf Brettern aus unterschiedlichen Hölzern reifen. Jede Höhle ist mit einem Holzfass abgedeckt, durch eine Öffnung im Holz gelangt man an den Käse. „Il formaggio è come il vino“, sagt Signor Antonio. Wie der Wein, nimmt auch der Käse den Geschmack und den Duft des Holzes, auf dem er reift, an. Oder eben den des Weines, des Tresters, des Pfeffers oder des Heus.
Mit den Jahren entwickelte Signor Antonio das System der Affinage beständig weiter. Seine Philosophie von Anfang an: Herausragender Käse entsteht nur aus herausragenden Rohmaterialien. Die Laibe stammen von kleinen Käsereien in Norditalien, Trester und Wein von Winzern aus dem Veneto und das Heu von den Almen der nahen Alpen. Von Hand wird der Käse mit Pfeffer bearbeitet, im Trester gewälzt oder im Barriquefass mit Heu vermengt. Alessandro und sein Bruder Ernesto kümmern sich heute gemeinsam mit ihrem Vater um Affinage und die Geschicke des Unternehmens.
Bereits in vierter Generation verfeinert Familie Carpenedo Käse. „Affinage“ heißt das Reifen von Käse in ungewöhnlichem Ambiente: im Steinkeller, in der Grotte, eingelegt in Trester oder in Heu, auf verschiedenen Hölzern oder eben im Barriquefass. Und Signor Antonio gilt als einer der ersten Affineure Italiens. Im elterlichen Lebensmittelhandel schon umgeben von Käse, widmete sich Signor Antonio in den sechziger Jahren ganz dem Käsehandel, bevor ihn eine alte Geschichte zum Affineur machte. Von den alten Bauern der Region Venetien erfuhr er, dass man im Zweiten Weltkrieg die frisch gekästen Laibe vor den deutschen Soldaten in Weinfässern und Gärtanks versteckte. Die Deutschen zogen weiter, der Weingeschmack blieb am Käse haften. Und so präsentierte Signor Antonio 1976 den ersten „betrunkenen Käse“ Italiens. Der „formaggio ubriaco“, ein in frischem Weintrester eingelegter Schnittkäse, wurde zum Erfolg. Heute produziert Familie Carpenedo noch immer „betrunkenen Käse“ — eingelegt in Amarone-, Prosecco- oder Rabosotrester.
Um zu sehen, woher die Milch kommt, müssen wir gerade einmal fünfzig Meter weit gehen. Der Bauernhof, von dem Rico seine Milch bezieht, liegt an der nächsten Straßenecke. Fünfzig schwarz-weiß gefleckte friesische Kühe strecken uns die Köpfe entgegen und muhen zur Begrüßung. Nicht nur, dass der Stall gleich ums Eck’ ist, sondern „auch im Futter liegt der Unterschied“, erklärt Rico. Die Kühe bekommen keine Silage zu fressen, das Futter wird aus einzelnen Rohstoffen frisch vermengt. Zurecht gestutzte Heusorten, unterschiedlich lange fermentiert, stehen auf der Futterliste, genauso wie fünf verschiedene Leinsamenarten. Die Milch ist deshalb besonders reich an gesunden Omega 3-Fettsäuren und am Spurenelement Selen. Beides findet sich natürlich im Rohmilchkäse wieder.
„Il formaggio si innamora“, erklärt Signor Antonio, als wir vom Bauernhof zurück zur Käserei schlendern. Der Käse verliebt sich — in Wein, Holz oder Heu. Auch wir haben uns verliebt. In den liebestrunkenen Käse von Familie Carpenedo.
In der Nähe der berühmten Villa „Emo“ des Renaissance-Architekten Andrea Palladio, ein paar Kilometer außerhalb von Povegliano, liegt die Käserei von Familie Carpenedo. In einem flachen Gebäude, kaum größer als eine Doppelgarage, zeichnet sich Käsemeister Rico Catuzzo für die Käse verantwortlich. Gekäst werden hier ausschließlich Käse aus Rohmilch. Rico ist ein drahtiger, sonnengebräunter Mann mit grauen Haaren, die Oberarmmuskeln wohl definiert — Ergebnis der Arbeit in seiner Käserei. Mit langsamen Bewegungen teilt er den Milchbruch, bevor er ihn in die Körbe schöpft. Bei ihm entstehen einheimische Käsevarianten genauso wie selbst kreierte. Eine seiner Schöpfungen: der Käse in Form der „Rocca d’Asolo“, einer Burg ganz in der Nähe. Und Signor Antonio Carpenedo ist von Rico begeistert: „La mano del casaro fà la differenza“, sagt er. Die Hand des Käsemeisters mache den Unterschied. Neben dem handwerklichen Arbeiten, ist es aber auch die Milch, welche den Käse hier so besonders macht.