giocare con lo stupore

Guido Gobino Turin Piemont

 

Durch den kleinen Verkaufsraum, in dem sich die Schokoladenkreationen edel verpackt in Schachteln und Schächtelchen dem Besucher präsentieren, gelangen wir in die Produktion. Seit 1948 entstehen in diesen Räumen Schokoladenvariationen. Der Chocolatier-Maestro Guido Gobino, ein hagerer Mann mit sorgsam gestutztem kurzen Oberlippenbart und grauen Schläfen, begrüßt uns. Er trägt einen weißen Mantel, seine Augen blitzen schelmisch, sein Gesicht zieren unzählige Lachfalten, die Hände unterstreichen lebhaft jedes Wort. Wir waren schon immer hier, erklärt er. „Natürlich ist es hier drinnen im Laufe der Jahrzehnte eng geworden, wir mussten sogar aufstocken, um weiterhin Platz zu finden.“

Durch Aurora wabert der Duft nach gerösteten Haselnüssen und nach Schokolade. Das kleine Arbeiterviertel mitten in Turin, nur ein paar Meter vom Fluss Dora entfernt, hat sich in den letzten Jahren zum Trendviertel gemausert. Angesagte Bars und Cafés liegen neben alteingesessenen Handwerksbetrieben. Folgt man dem Duft nach Schokolade, dann trifft man auf einen, der schon immer hier war: Guido Gobino.

Diese galt es zu bewahren und dennoch modern zu interpretieren. So war er der erste, der 1995 das traditionelle Turiner Schokoladen-Haselnussnougat „Gianduja“ in einem kleinen Format von nur fünf Gramm auf den Markt brachte. Ein großer Erfolg — konnte jeder doch nun in kleinen Portionen naschen, ganz ohne schlechtes Gewissen um die „bella figura“. „Es ist wie beim großen Barolo-Wein“, sagt Guido, „früher war der Wein stark und körperreich, heute elegant.“ Im Vergleich zur alten Gianduja-Tradition Turins seien seine Variationen heute allesamt leichter und weniger teigig, dafür mit einem delikateren Haselnussaroma. „Gusto moderno“, nennt Guido das. Und dafür braucht es die besten Zutaten und ein feines Gespür für die Verarbeitung genau dieser.

Am gerahmten Portrait des Vaters vorbei, folgen wir Guido durch einen verwinkelten, weiß gekachelten Gang in den ersten Bereich der Produktion. Hier kommen die Rohmaterialien an, Kakaobohnen und Haselnüsse. Obwohl wir uns in einem historischen Gebäude befinden, wirkt hier alles hoch­modern — kein Wunder, dieser Gebäudeflügel wurde erst im Jahr 2011 errichtet.

Warum er sich dann nicht nach einer anderen Produktionsstätte außerhalb Turins umsieht, wollen wir wissen. „Ach wissen Sie was, ‚io sono un romantico‘, ich bin ein Romantiker. Schon mein Vater hat hier in dieser Schokoladenmanufaktur gearbeitet. Jeden Sonntag­abend haben wir eine Halbzeit Fußball zusammen geschaut und danach habe ich ihn auf seinem Kontrollgang durch die Manufaktur begleitet. Es musste ja immer alles perfekt vorbereitet sein für den Montagmorgen. Damals war ich sechs Jahre alt.“ 1979 übernahm Familie Gobino dann die Manufaktur, in der damals nicht nur Schokolade, sondern auch Bonbons und Gelatine produziert wurden. Im Jahr 1985 trat Guido in die Firma seines Vaters ein, heute lenkt er die Geschicke der Manufaktur. Und das macht der 58-Jährige mit großem Erfolg. „Ursprünglich wollte ich Priester werden“, erklärt er den verdutzten Zuhörern. „Ich war sogar schon auf dem Priesterseminar.“ Doch dann kam alles anders. Und ähnlich einer leidenschaftlichen Predigt, ging er nun auch seine neue „missione“ an: eine Mission für herausragende Schokolade. Zuerst einmal sammelte er alte Rezepte für Schokolade und Pralinen.

Nachdem die Kakao­bohnen von Ästen und Stöckchen gesäubert sind, landen sie in der Rösttrommel. Natürlich werden die Bohnen abhängig von Größe, Feuchtigkeit und Herkunft verschieden lange geröstet — und das auf einem „letto di aria calda“, auf einem Bett aus heißer Luft, wie Guido erklärt. Immer in Bewegung, verbrennen sie nicht — der sanfte Röstprozess garantiert delikatere Aromen in der Schokolade. Auch Haselnüsse werden auf dieselbe Art bei Guido geröstet. Die gerösteten Kakaobohnen werden gebrochen, geschält und danach gemahlen — aus dem Kakaobruch entsteht Kakaobutter und damit flüssige Kakaomasse. Zu großen Tafeln gepresst wandert die Masse nun ein Stockwerk tiefer in die eigentliche Produktion der Schokoladenspezialitäten.

Und dahin wandern wir nun auch. Es geht in die Katakomben des alten Gebäudes. Eine schmale Treppe führt steil hinab, gelbes Signalband warnt den Kopf vor der niedrigen Oberkante der Einstiegsluke. Kaum können wir gerade stehen, überblicken wir die Schokoladenproduktion.

Die neuen Maschinen blitzen mit dem Boden um die Wette. Es ist laut, ein staubsaugerähnliches Gebilde transportiert die Kakaobohnen unter lautem Getöse in die enorme Rösttrommel, die über unseren Köpfen schwebt. Eine herausragende Schokolade beginnt bei außergewöhnlich guten Kakaobohnen. „Unsere Bohnen stammen ausnahmslos von kleinen Produzenten und aus den Ländern Kolumbien, Venezuela, Mexiko, Java, São Tomé, Ecuador.“ Moment: São Tomé, wo …? „Ein kleines Eiland im Golf von Guinea. Vulkanisch, herrlich weit weg von anderen Plantagen — das garantiert besonders aromatische und besonders sortenreine Bohnen“, erklärt Guido. Aus Afrika dagegen stammen keine Bohnen. „Viele von denen sind so sauer, da geht der Mund noch nicht mal auf.“ Haselnüsse mit geschützter geografischer Angabe aus dem Piemont, Ingwer aus Thailand, Salz aus Cervia und Zitrusfrüchte aus Sizilien — die sorgsame Auswahl bester Materialien endet natürlich nicht bei den Kakaobohnen.

„ ,Giocare con lo stupore‘, wir arbeiten hier spielerisch, um unsere Kunden ins Staunen zu versetzen“, sagt Guido, schnippst mit den Fingern, „um etwas zu schaffen, was man so noch nie gesehen hat.“

Ein paar Minuten später sitzen wir im neu aufgesetzten letzten Stockwerk und probieren das, was man so noch nie gesehen hat. Schon das Erlebnis des Auspackens ist ein ganz besonderes. Schwarz-orangenen und cremefarbenen Schmuckschatullen gleich, präsentieren sich die Verpackungen voller Schokolade, voll überzogener Früchte, Cremini, Giandujottini. „Auch bei der Verpackung sind wir neue Wege gegangen“, sagt Guido, denn „die ansprechende Verpackung gehört zur edlen Schokolade. Deshalb wandert bei uns ein jedes Giandujottino von Hand in die Schachtel.“

Nun wandert ein jedes, von unserer Hand geführt, wieder hinaus und weiter in unseren Mund. Cremig, delikat, raffiniert. Wir sind schwer beeindruckt.

So ähnlich muss sich der kleine Charlie aus dem Buch „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl gefühlt haben, als er das erste Mal einen Blick hinter die Tore der Produktion des Willy Wonka werfen durfte. Vor uns, neben uns und hinter uns wird die Kakaomasse zu Schokolade unterschiedlichster Form verarbeitet. Hier entstehen die kleinen Giandujottini genauso wie die ein Kilogramm schweren Schokoladentafeln („una bestia“, eine Bestie, sagt Guido dazu). Es ist warm hier unten, ein intensiver Schokoladengeruch liegt in der Luft.

In allen Winkeln und Ecken werden von Hand Stanzen in die kleinen Maschinen eingespannt und Kakaobohnen geschält, bevor sie mit Schokolade überzogen werden. In einem angrenzenden Raum befindet sich das „laboratorio“. Hier wird an neuen Kreationen gewerkelt und es entsteht von Hand die Ganache, eine Creme aus Kuvertüre und Rahm, die mit Schokolade überzogen und mit weiteren feinen Zutaten wie grünem Tee garniert wird.