Filetstücke
Callipo Pizzo Kalabrien
Heute stammt der Fang aus dem Westpazifik und dem Indischen Ozean. Konserviert in Kühlcontainern bei minus zwanzig Grad erreichen die bis zu hundert Kilogramm schweren Fische die großen italienischen Häfen. Von dort aus geht der „Yellowfin“ — oder weiße Thunfisch — auf seine letzte Reise in Richtung Pizzo. Einige Kilometer außerhalb des Städtchens an der Westküste Kalabriens liegt die Thunfischmanufaktur Callipo. Das Traditionsunternehmen ist die einzige Thunfischmanufaktur Italiens, in der die Fische im Ganzen ankommen, während alle anderen Betriebe ausschließlich schon auf hoher See an Bord vorverarbeitete Stücke in Empfang nehmen.
Dazu gehört es, in der Thunfischmanufaktur den ganzen Fisch zu zerlegen — ein enormer zusätzlicher Arbeitsaufwand, aber im Interesse der Qualität. Nur so ist garantiert, dass der Fisch nach alter kalabresischer Tradition weiterverarbeitet wird, und ausgeschlossen, dass an Bord der Fischtrawler mit dem Thunfisch Unfug getrieben wird. Die Entscheidung, einen ganzen Fisch zu kaufen, verlangt Mut — von einem hundert Kilogramm schweren Exemplar bleiben gerade einmal fünfzig Kilogramm Fleisch.
Unter fließendem Wasser werden die drei bis vier Jahre alten Thunfische vorfiletiert, von Hand an die Sägeblätter geführt und in Stücke geteilt. Dabei wird der ganze Fisch verwertet: Ob Thunfischfilets, „ventresca“, das wertvolle Bauchfleisch des Thunfischs, oder Fischrogen, der getrocknet als italienische Spezialität „bottarga“ mit Spaghetti gegessen wird, alles lösen die Arbeiter von Hand aus dem mächtigen Fischleib. Der Geruch in der Halle ist weder aufdringlich noch unangenehm — auf jedem Fischmarkt umweht ein stärkerer Geruch die Nase.
Seit 1913 steht das Familienunternehmen Callipo für hochwertige Thunfischspezialitäten. Gegründet von Giacinto Callipo, liegen die Geschicke des Unternehmens heute in den Händen seines Enkels Filippo. Der Golf von Pizzo, offiziell Golf von Sant’Eufemia, ist seit Jahrhunderten bekannt für seine großen Thunfischschwärme, die im Frühjahr und Sommer auf dem Weg zum Laichen hier vorbeizogen. Familie Calippo war die erste, die den Thunfischfang kommerzialisierte und den berühmten roten Mittelmeerthunfisch auch außerhalb Kalabriens vertrieb. Schon in den Anfangsjahren setzte man auf Qualität. Und so dauerte es nicht lange, bis Callipo im Jahr 1926 den Titel „offizieller Thunfisch-Hoflieferant“ des italienischen Königshauses in Turin verliehen bekam. Seit damals hat sich natürlich einiges verändert — der Qualitätsanspruch von Filippo Callipo aber ist derselbe geblieben. Auch wenn der rote Mittelmeerthunfisch heute unter Artenschutz steht und kommerziell nicht mehr gefangen werden darf und Fisch aus anderen Weltregionen verwendet wird, sind die Arbeitsabläufe in der Produktion noch weitgehend dieselben wie in den Anfangsjahren von Callipo.
Sind heute hochwertige Thunfischspezialitäten in Gläsern beinahe schon Usus, war es in den 1990er-Jahren Callipo, die zuerst damit begannen, die Filetstücke vom Thunfisch in Gläser zu legen. Bevor die Gläser heute den Kunden erreichen, muss der Thunfisch in Olivenöl erst noch „reifen“, wie man uns erklärt. Kleine Dosen liegen ungefähr einen Monat auf Lager, bis sie den Traditionsbetrieb verlassen, große Gläser und Dosen bis zu einem Jahr. In dieser Zeit verbindet sich das Olivenöl mit dem Thunfisch, der Geschmack des Filets wird milder.
Draußen vor der Tür der lärmenden Thunfischmanufaktur erwartet den Besucher Wald und Wiese. Keine zehn Minuten später aber haben wir mit dem Boot das Festland hinter uns gelassen und blicken auf die blaue Bucht von Pizzo. Der Wind weht in Böen, das Wasser kräuselt sich, und fast ist es, als hätten wir weit draußen, zwischen weißen Schaumkronen, die mächtige Schwanzflosse eines Thunfischs gesehen.
Einen Raum weiter, einen Produktionsschritt voran: In einem langen Ofen aus Edelstahl gart der Thunfisch. Das Prinzip entspricht dem eines Druckkochtopfs in der heimischen Küche. Ohne Sauerstoff, das heißt ganz ohne störende Oxidation, gart der Fisch zwei bis drei Stunden — um danach sofort auf fünf Grad abgekühlt zu werden. So erhält man die gelb-rötliche Farbe der Thunfischfilets. Nun müssen die enormen Filets noch zugeschnitten werden — und das geschieht im nächsten Raum.
An langen Werkbänken sitzen hier weiß gekleidete Frauen. Mit sicherem Griff bugsieren sie die Filetstücke auf ihre Schneideunterlage und zücken die rasiermesserscharfen Klingen. Jeder Handgriff sitzt: Sie lösen die Gräten vom Filet, schneiden die Stücke in die gewünschte Größe und legen sie in Dosen und Gläser. Die so entstehenden kleinen Filetstücke und -streifen werden als sogenannte „erste Wahl“ verkauft. All das, was die Frauen vom Filetstück schneiden, wird nicht etwa entsorgt, sondern findet seinen Weg als Thunfischfilet „zweiter Wahl“ in kleine, flache Dosen.