Mit allen Sinnen genießen

Grattamacco Castagneto Carducci Toskana

 

„Grattamacco“ — das ist eine Weinbaulegende.

Gemeinsam mit der nicht minder renommierten Kellerei Sassicaia war das Weingut Grattamacco das erste, das Ende der Sechzigerjahre Weinberge in der Bolgheri-Region erwarb. Waren andere toskanische Gebiete schon seit Jahrhunderten mit Rebstöcken bepflanzt, ob Chianti oder Montalcino, so hatte die Maremma im Allgemeinen und das Bolgheri im Speziellen keinen nennenswerten Weinbau zu verzeichnen. Ein Glück für die Pioniere von Grattamaccco: Sie wussten die freie Wahl zu nutzen. Heute verfügt man gemeinsam mit Sassicaia über die renommiertesten Lagen im Bolgh­eri. Von der Terrasse der Kellerei genießt man einen unverbauten Blick auf genau diese Weinberge. Sie rollen wie ockerfarbene Wellen übers Land, um am nächsten Hügel zu zerschellen — hier, gegenüber der Kellerei Grattamacco erhebt sich die „Podere Grattamacco“, das Landgut, das dem Weingut seinen Namen gab.

Kennen Sie das Gefühl, im Urlaub angekommen zu sein? Sie öffnen die Wagentür, das Meer glitzert strahlend blau zwischen den grünen Pinien, eine frische Prise fährt Ihnen durch die Haare. Es riecht nach Kräutern, nach feuchtem Sand und nach Sonne. Und genau dieses Gefühl erwartet Sie bei Grattamacco.

Unter uns ist es blau, über uns auch. Das Meer zu unseren Füßen, der Himmel über uns. Und dazwischen liegt das Weingut Grattamacco. Von der Küste geht es hinauf, zuerst kleine Straßen, dann Sträßlein und am Ende eine mit Schlaglöchern übersäte Schotterpiste. Und doch genießen wir die Fahrt. Immer wieder bieten sich spektakuläre Ausblicke auf die Küste, wir passieren Pinien- und Kiefernwälder, durchqueren kleine Weinberge, die Reihen zwischen den Reben mit rosaroten Blumen bewachsen. Eine letzte Kurve, es geht noch einmal steil hinab, dann erwartet uns die Kellerei Grattamacco.

Reihen. Die Kellerei selbst ist klein, sie wirkt wie ein Wohnhaus. Im dazu gehörenden Gartenpalais finden Verkostungen mit Blick auf das Bolgheri statt. Seit 2006 ist die Kellerei im Besitz der Colle Massari-Gruppe. Eigentümer von Colle Massari wiederum ist die italienisch-schweizerische Unternehmer-Familie Bertarelli. Es ist durchaus anzunehmen, dass die Geschichte des Weinguts Grattamacco den erfolgsverwöhnten Bertarelli imponierte. In der kargen Maremma quasi aus dem Nichts gestartet und sich mit innovativen Weinen bewusst von der Weinbautradition der Toskana abzusetzen — das war die Motivation von Grattamacco bei der Gründung 1968.

Die 25 Hektar Rebflächen liegen alle auf zwischen hundert und zweihundert Metern Höhe und sind mit Sangiovese-Reben, mit Cabernet Sauvignon, Merlot oder Cabernet Franc bestockt. Hier oben genießen die Trauben die Sonne, werden vom Wind gestreichelt, profitieren vom Regen, der sich an den Hügelflanken entlädt und sammeln in kühlen Nächten Kraft für die heißen Tage. Um Fauna und Flora im Weinberg gesund zu halten, wird jede zweite Reihe zwischen den Reben für vier Jahre der Natur und damit sich selbst überlassen. So erholt sich der Boden, den Reben und damit der Qualität der Trauben kommt das sehr zugute. Gearbeitet, im wahrsten Sinne des Worte „geackert“, wird dann jeweils in den anderen

Denn der Wein „Grattamacco Superiore“, der Flaggschiffwein der Kellerei, wird bis heute noch immer in großen offenen Holzbottichen, „tinelli“ genannt, vinfiziert. Die Trauben kommen in die 28 Holzfässer, von Hand werden sie mit einem Holzschlegel zerdrückt, von Hand findet während des 15 Tage dauernden Gärprozesses zweimal pro Tag die Remontage, die Vermengung von Traubenschalen und Most, statt. Das erfordert Kraft — macht die Weine aber zu etwas ganz besonderem. Durch den intensiven Austausch mit Sauerstoff erhalten Sie ihre Komplexität und Langlebigkeit. „Aber Achtung: Auch wir müssen noch atmen“, lacht Paolo. In der Kellerei warnen deshalb moderne Sensoren vor einem Zuviel an Kohlendioxid — denn genau das entsteht beim Gärprozess. Pro Jahr zeichnet Paolo sich für 150.000 Flaschen, die das Weingut verlassen, verantwortlich.

Das Ergebnis: Die sogenannten „Super-Toskaner“, die eben nicht nur aus einheimischen Rebsorten wie der Sangiovese-Traube entstehen, sondern auch aus internationalen Gewächsen wie dem Merlot, dem Cabernet Franc oder dem Cabernet Sauvignon. Heute sind die Super-Toskaner als Spitzenweine aus Italien längst international etabliert. Und Grattamacco gilt als Mitbegründer dieser immer noch jungen Weinbautradition. Mit dem Einstig der Bertarelli und Colle Massari bekam Grattamacco 2013 eine im Großen und Ganzen neue Kellerei — an den Weinen und ihrer Herstellung aber änderte sich nichts.

So zum Beispiel an ihrer Vinifikation. Paolo Pietrantozzi ist der Önologe von Grattamacco. Der braungebrannte Mann Anfang dreißig wirkt mit seinem Vollbart und den muskulösen Armen ganz so, als könne er anpacken. Und das muss er hier auch.

und lacht. Die Verbundenheit zur Lage des Weinguts und zur Beschaffenheit der Böden des Bolgheri zeigt sich auch in den kunstvollen Glasskulpturen, die im Keller oder im Verkostungsraum hängen. Rot und gelb, grün und braun — getrennt sind die Glasfragmente, die entfernt an ein Kirchenfenster erinnern, nur durch einen schmalen eisernen Rahmen. Artifiziell im Keller oder von der Sonne im Verkostungsraum hinterleuchtet, beeindruckt das Farbenspiel. „Die Skulpturen stammen von unserem Nachbarn, dem Künstler Michael Zyw“, sagt Paolo, „und es finden sich alle Farben des Weinbergs darin wieder.“

Auf dem Rückweg über die Schlaglöcher der Schottenpiste haben wir bei langsamer Fahrt genug Zeit, den einzelnen Farben der Skulpturen von Zyw in den Weinbergen nachzuspüren. Und dazu kommt dann noch ein Schuss Blau vom Mittelmeer.

Im Barrique-Keller ist es das ganze Jahr über gleichbleibend kühl. Tief in den Fels hinein ist er gehauen. Wie auch bei Colle Massari, bedecken Planken aus libanesischem Zedernholz die Decke. „Das Zedernholz hält die Fliegen fern vom Wein“, sagt Paolo. Um die Luftfeuchtigkeit hier konstant zu halten, hat man Fenster in die Betonwand des Kellers geschlagen. Dahinter kommt das Felsgestein zum Vorschein — das aber ist nicht massiv, viel eher handelt es sich um ein Flysch-Gestein; um verschiedene Steinlagen also, die sich aus einer Abfolge von Tonstein- und anderen grobkörnigen Gesteinsschichten zusammensetzen. „Der Stein ist durchlässig“, erklärt Paolo. Sollte es hier drin einmal zu nass sein, wird die Feuchtigkeit durch die Fenster und die durchlässigen Gesteinsschichten abtransportiert. „Kling, kling, kling — und manchmal höre ich beim Arbeiten hier unten durchs Flysch den Regen oben“, ergänzt er